Dieses Jahr ist alles anders. Ohne grosse Erwartungen sind wir Donnerstag vormittag nach Frankfurt gefahren. Nach einer Reihe von Störungen in der Vorbereitung mit dem vorläufigen Höhepunkt des Muskelfaserrisses in Heilbronn vor 3 Wochen drohte nun auch noch ein Neoverbot. Es war wie ein Deja vu, fast wie 2006.
Am wichtigsten war, dass mein Dok meinen Muskelfaserriss soweit hinbekommen hat, dass ich starten konnte. Für das Selbstbewusstsein und die Moral war das extrem wichtig. Obwohl das Lauftraining in den letzten 3 Wochen komplett ausgefallen war, fühlte ich mich jetzt trotzdem bereit. Natürlich musste ich meine Erwartungen und Ziele an die aktuellen Trainingsleistungen anpassen. Wegen der schlechten Vorbereitung blieb natürlich eine gewisse Unsicherheit und auch Zweifel, ob der Oberschenkel wirklich hält. Eine Renntaktik oder Planung hab ich mir erst gar nicht überlegt. Ich hab für mich selbst aber mehrere Ziele formuliert. Das Idealziel wäre eine 9:59, also Sub 10. Ein gut zu erreichendes realistisches Ziel schien ca. 10:15 und mein Minimalziel habe ich mit 10:29 festgelegt. Je nach Rennverlauf wollte ich entsprechend downshiften. Das Ziel Hawaii-Quali hab ich erst gar nicht in Betracht gezogen, da die Qualizeit letztes Jahr ca. 9:45 war. Das schien mit meinen Trainingsleistungen unerreichbar. Nächstes Jahr will ich sowieso sportlich etwas kleinere Brötchen backen. Das wichtigste war damit also das finishen, da ich aktuell nicht sagen kann, wann ich wieder am Start einer Triathlon Langdistanz stehe.
Warum schon am Donnerstag vormittag? Die Zeit vor dem IM vergeht immer wie im Flug. Es gibt tausend Dinge zu tun. Zuerst sind wir mit unserem Transl aufs Rebstockgelände gefahren – das wie 2006 für das Campen während des IM freigegeben war. Dann hab ich mit Birgit eine wirklich gemütliche Runde auf der IM Strecke gedreht – das ist einerseits wichtig für das Trainingsgewissen, aber in Frankfurt auch nicht ganz so angenehm. Das Radfahren auf der B10 in Stuttgart fühlt sich dagegen vermutlich an wie das Fahren in der Einsamkeit der finnischen Wälder 😉
Apropos bevor ich es vergesse, das wirklich positive an diesem Wochenende in FFM war natürlich das Wetter. Sommer, endlich richtig Sommer. Nach dem bescheidenen Frühjahr war das Balsam auf meine Seele. Das sind meine Bedingungen, mit dem kleinen Makel des drohenden Neoverbots.
Nach der Radlerei sind wir dann auf den Römerberg zum einchecken gefahren. Da haben wir dann auch Christoph getroffen und in einem Strassencafe unseren unglaublichen Durst mit Radler gelöscht.Freitag stand dann ganz unter den Zeichen der Materialvorbereitung, d.h. Radschrauben, Wettkampfbeutel packen etc. Kein Training. Abends haben wir mit Christoph eine private Pastaparty der offiziellen vorgezogen. Nach einer kleinen Zusatzrunde mit öffentlichen Verkehrsmittel, weil ich meine Sonnenbrille in der Kneipe liegen gelassen habe, gab es am Rebstockgelände noch Public Viewing: Ghana – Uruguay.
Ach ja, heute wurde auch das Geheimniss gelüftet – NEOPRENVERBOT. Aber der Schock hielt sich in Grenzen, da ich mich mental die letzten Tage schon damit auseinandergesetzt hatte.
Samstags gab es morgens als erstes noch ein kleines Läufchen – wieder zur Beruhigung des Trainingsgewissens, außerdem wollte ich den Dialog mit dem Oberschenkel aufnehmen, wie es um sein wertes Befinden steht. Erfreulicherweise hatte der Oberschenkel aktuell nichts einzuwenden. Nachmittags stand dann das Einchecken des Rades auf dem Programm. Bei der Gelegenheit haben wir uns kurz im Langener Waldsee erfrischt. Das Wasser war übrigens wirklich richtig warm. Dann kamen wir schon etwas unter Zeitdruck weil ich meine Henkersmalzeit spätestens um 15:00 zu mir nehmen wollte und gleichzeitig auch noch das Deutschland-Spiel sehen wollte. Das haben wir in Walldorf – einem Örtchen nahe des Baggersees wo wir auch übernachten wollten – gemacht.
Nach einer (wie so oft) relativ schlaflosen Nacht sind wir dann um 4:00 an das Baggerloch gefahren. Morgens läuft alles motorisch ab. Nach Frühstück und Topf gab es noch den obligatorischen Gewaltmarsch von Frankfurt (2km vom Parkplatz bis zur Wechselzone, inkl. Trinkflaschen und allem gedönse was mit muss. Das einzige was ich gerne noch getragen hätte war der Neo 😉 Die letzten Stunden vor dem Start sind echt grausam. Die Anspannung steigt und steigt und steigt.
Ich bin im tiefen Wasser in der Nähe der Badeinsel aus der ersten Reihe gestartet. Die letzten Minuten vor dem Start waren die unentspanntesten seit langem. Es war sehr eng alle beim Schwimmen auf der Stelle, Tritte unter Wasser, alles in allem eine aggresive Athmosphere. Und dann Peng,….endlich und ab geht die Luzy, Aller Stress wie weggeblasen.
Ich hab einen guten Start erwischt, nach vielleicht 200m Vollgas von der Startlinie weg hab ich mich an den äußersten rechten Rand orientiert um jeder möglichen Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Irgendwie kam es mir vor, als ob das Schwimmen heute nicht enden wollte obwohl ich, nach für mich hervorragenden 1:03 Stunden, aus dem Wasser stieg.
Das Radfahren lief erwartungsgemäß nicht so gut wie 2006. Aber trotzdem deutlich besser als erwartet. Nach nur 5:13 Stunden für 185km (wegen einer Umleitung waren es heute ausnahmsweise 5km mehr) war Teil 2 erledigt. Auf den letzten Kilometern kam sogar richtige Euphorie bei mir auf. Für Sub 10 sollte es in jedem Fall reichen hab ich so vor mich hingerechnet. Dafür müßte ich nur 3:35 laufen dachte ich mir.
Leider wurde ich mit dem Absteigen vom Rad jäh aus meinen Träumen gerissen. Mit den ersten Schritten Richtung Wechselzelt meldete sich der Muskelfaserriss in aller Deutlichkeit zurück. Nach nur 5 bis 10 Schritten kann sich also Euphorie in Frustration verwandeln 🙁 Im Wechselzelt saß ich dann da und hab mir überlegt ob ich überhaupt loslaufen soll. Was den Ausschlag gab, weiss ich gar nicht mehr, ich weiß nur die Entscheidung stand auf des Messers Schneide. Irgendwie wollte ich die Saison unbedingt positiv beenden. All das Training, der Aufwand, das schlechte Wetter….wenigstens finishen, genau das war es vermutlich, was mich dazu bewegt hat es zu versuchen.
Mit jedem Schritt hat mich der Oberschenkel anfangs daran erinnert es nochmals zu überdenken. Nach dem ersten Kilometer habe ich dann rausgefunden das bei kürzerer Schrittlänge, also langsamerer Geschwindigkeit nur ein ziehen und kein Schmerz zu spüren ist. Vor lauter Dialog mit dem Oberschenkel hab ich dann fast Birgit, Simone und Oli verpasst, die an der Laufstrecke standen. Ich musste sogar ein paar Meter zurück gehen. Ich hab meinen Lieben dann die schlechten Nachrichten auch nicht vorenthalten 😉 Nach dem Zwischenstopp bin ich dann trotz Frust wenigstens kontinuierlich weitergetippelt.
Nach 11 Ironmans denkt man, man hätte alles gesehen, aber jedes Rennen ist anders und hält neue Überraschungen bereit. Das macht eben auch den Reiz einer Langdistanz aus. Leider hatte ich für diese Überlegungen in dem Moment keinen Sinn. Die Abschlussdisziplin im IM ist nie einfach und immer zu 50% Kopfsache. Heute waren es 99%. Laufen, wenn man seine eigentlich gesteckten Ziele nicht erreichen kann und latent das Damoklesschwert des DNF über einem schwebt. Keine leichte Prüfung für die Psyche. Die Ratschläge von Psychoklempnern immer einen Plan B zu haben und dann im Rennverlauf die Ansprüche entsprechend anzupassen klingen in dem Moment eher wie Hohn.
In jeder Runde darf an einer Verpflegungsstation Eigenverpflegung gereicht werden. Im Normalfall krall ich mir was mir Birgit reicht und laufe durch. Heute hab ich mich hingestellt und gepflegt im Stehen getrunken und ein Schwätzchen gemacht. Der Competition-Faktor war komplett im Eimer. Mir war wurs(ch)t ob ich 50er oder 60 der AK werden würde. Ich bin davon ausgegangen, dass ich mindestens 30 Minuten hinter den Qualiplätzen liege, der Rest war mir Wurs(ch)t. Nach der 2ten Runde bin ich dann zuversichtlicher geworden, dass es zum Finish reicht. Schneller bin ich dadurch nicht geworden – im Gegenteil 🙂
In der letzten Runde wurde endlich das ersehnte Endorphin freigesetzt. Halleluja der Oberschenkel hält, die letzten 5km hab ich nochmal Schub gegeben. Nur Überholen was für ein geiles Gefühl nach 37km überholt werden 🙂
Der Einlauf auf dem Römerberg war dann Emotion pur. Noch ein Kuss für Birgit, die kurz vor der Ziellinie auf der Tribüne gewartet hat. Ich war selten so glücklich über das Finish wie heute und das trotz der für mich wenig attraktiven Zeit von 10:15 Stunden nach einem 3:52 Marathon.
Einen kleinen Wehrmutstropfen gab es dann doch noch….Als ich die Urkunde holte stand da Platz 26 der AK und 225 insgesamt (später 249). Da war ich dann etwas verwirrt, weil ich mit einem Platz jenseits der 50 gerechnet hatte. Es gab 17 Qualiplätze, letztes Jahr ging der letzte mit 9:45 weg, dass ich so nah drann bin hatte ich nicht geahnt. Mir schwahnte dann schon was sich später bewahrheiten sollte. Der 21ste bekam den letzten Qualiplatz in 10:08. D.h. ich hab die Quali um nur 7 Minuten verpasst. Das war allein die Zeit von meinen 4 Frust-Stehpausen als ich bei Birgit, Simone und Oli ein gepflegtes Schwätzchen gehalten habe.
Wie gesagt ein IM hält immer Überraschungen parat und jedes Mal lernt man etwas neues 🙂
Heute war die Lektion „gib niemals auf, kämpfe immer bis zum Schluß“.
Normalerweise hätte ich mich da eine Quadratur in den Ar… gebissen. Aber heute überwog die Freude über das erfolgreiche Finish. Weil auch ein DNF wäre heute drin gewesen.
Und zum Feuerwerk sind wir nochmal auf den Römerberg um die letzten Finisher anzufeuern.